Schlucken
Essen und Trinken hat für den Menschen sozialmedizinisch und sozialpsychologisch einen hohen Stellenwert. Gesellschaftlich lässt sich das daran erkennen, dass bei vielen Familienfesten die gemeinsame Mahlzeit das Hauptelement bildet.
Für den Körper selbst ist Essen und Trinken überlebenswichtig. Drei Tage ohne Flüssigkeit oder drei Wochen ohne Nahrung sind akut lebensbedrohlich.
Ein schluckgesunder Mensch schluckt am Tag bis zu 2000 mal. In Ruhe – also unabhängig von den Mahlzeiten – im Durchschnitt einmal pro Minute.
Beim Schlucken sind über 50 Muskelgruppen beteiligt und helfen, über den Tag bis zu 1,5 Liter Speichel in den Magen zu transportieren.
Aufgaben des Schluckakts
Der Schluckakt hat zwei Aufgaben. Er sichert die Atemwege und sorgt für einen erfolgreichen Bolustransport. Damit der Schluckakt sicher ist, schließen sich die Stimmlippen und baut sich ein Druck unterhalb der Glottis auf. Damit der Bolustransport erfolgreich ist, sind Bewegungen der Zunge, des Larynx und des Pharynx wichtig. Die Inversion der Epiglottis dient hauptsächlich dem erfolgreichen Bolustransport und weniger dem Schutz der Atemwege.
Störungen des Schluckens
Am häufigsten treten Dysphagien bei folgenden Erkrankungen auf:
- Schlaganfall
- Morbus Parkinson
- Amyotrophe Lateralsklerose
- Multiple Sklerose
- Guillain-Barré Syndrom (GBS)
- Tumore im zentralen Nervensystem (ZNS)
- Tumore im Hals, Kehlkopf und Mund
- entzündliche Erkrankungen
- Schädel-Hirn-Trauma
Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Schlaganfall zu. Da hier die Schluckstörung sehr plötzlich auftritt. Die Dysphagie ist eine der häufigsten Todesursachen nach einem überlebten Schlaganfall.
Häufigkeit bei neurogenen Erkrankungen
- Schlaganfall: Akutphase ca. 50%, chronische Phase ca. 25%;
- Morbus Parkinson: ca. 50%;
- Multiple Sklerose (MS): ca. 30-40% (positive Korrelation mit Behinderungsgrad);
- PSP (Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom): im Verlauf sehr häufig;
- Multisystematrophien (MSA): im Verlauf sehr häufig;
- schweres Schädelhirntrauma: 50-60% in der Akutphase;
- amyotrophe Lateralsklerose (ALS): im Verlauf fast immer, in ca. 25% bulbärer Beginn, dann regelhaft;
- X-chromosomal rezessive spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Kennedy: im Verlauf sehr häufig;
- akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP): häufig, bes. bei den Sonderformen „Polyneuritis cranialis“ und „Miller-Fisher-Syndrom (MFS)“;
- Critical-Illnesss-Polyneuropathie (CIP), Critical-Illness-Myopathie (CIM) bzw. Langzeitbeatmung/intensivstationäre (medikamentöse) Maßnahmen: bzgl. CIP und CIM keine Angaben in der Literatur, nach eigenen Erfahrungen nicht selten;
- nach Langzeitbeatmung ca. 80%;
- Myasthenia gravis: im Verlauf sehr häufig;
- Dystrophia myotonica (Curschmann-Steinert-Batten): ca. 70%;
- okulopharyngeale Muskeldystrophie (OPMD): regelhaft;
- Polymyositis (PM), Dermatomyositis (DM), Einschlusskörpermyositis (inclusion body myositis [IBM]): stark abweichende Zahlen, insgesamt häufig; bes. bei IBM nicht selten initiales Symptom;
- mito-chondriale Erkrankungen: abhängig von Erkrankung;
- Kearns-Sayre-Syndrom: häufig;
- zentrale pontine Myelinolyse: sehr häufig;
Quelle: Prosiegel et al., 2003
Relevanz
Dem Erkennen einer Schluckstörung kommt bei allen zugrunde liegenden Erkrankungen eine hohe Bedeutung zu. Das liegt daran, dass die Folgen einer nicht erkannten Dysphagie dramatisch sein können und unter Umständen sogar lebensbedrohlich sind. Gerade bei schweren Erkrankungen, so haben Untersuchungen festgestellt, ist das sogenannte Outcome in Kliniken und Einrichtungen deutlich besser, wenn Patienten ausreichend ernährt und mit Flüssigkeit versorgt werden. Das setzt aber voraus, dass diese Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme gefahrlos und unproblematisch ist.
Die direkten möglichen Folgen einer Schluckstörung sind
- Malnutrition
- Dehydratation
- Aspirationspneumonie
- Exitus letalis
Der Schluckakt
Um Schluckstörungen erkennen und behandeln zu können, ist es wichtig, sich der physiologischen Abläufe und Grundlagen bewusst zu sein. Der Schluckakt ist ein hochkomplexer Vorgang, sowohl anatomisch, als auch in Bezug auf seine Steuerung.