Kompensatorische Maßnahmen

Kompensatorische Verfahren und Maßnahmen in der Dysphagie-Therapie gleichen nicht abrufbare Fähigkeiten aus, um die zwei Aufgaben des Schluckaktes trotz einer Dysphagie zu gewährleisten.

Haltungsänderungen

Das Ziel der Haltungsänderung ist die Regulierung des Bolustransportes durch gezielte Veränderung der Schwerkraftverhältnisse (Kopfneigung) und des Weges, den der Bolus durch den Pharynx nimmt (Kopfdrehung).

Die Wirksamkeit dieser kompensatorischen Verfahren kann nur in einer bildgebenden Schluckuntersuchung überprüft werden.

Chin Tuck

Quelle: Welch et al., 1993

Der Begriff kommt aus dem Amerikanischen. Im Bereich der Physiotherapie bezeichnet er eine Übung zur Dehnung der Nackenmuskulatur. Als kompensatorisches Schluckmuster wird ein Chin Tuck allerdings anders durchgeführt.

Durchführung

Der Kopf wird weit nach vorn geneigt. Das Kinn berührt dabei fast die Brust.

Indikation

Bei reduzierter Kontrolle über den Bolus vor allem in der oralen Phase, bei prolongierter oraler Phase durch verzögerten Schluckreflex und bei einer eingeschränkten Zungengrundretraktion ist ein Kopfneigen nach vorn sinnvoll.

Effekt

Beim Schlucken wird der Kehlkopf in der pharyngealen Phase nach oben und nach vorn beweget. Je nach Stellung des Kopfes in Bezug zum Rumpf kann dieser Weg sehr weit sein. Die effektive Epiglottisinversion wird durch die Neigung des Kopfes unterstützt.

Die Kontrolle über den Bolus wird durch die Schwerkraft positiv beeinflusst.

Variante

Durch eine zusätzliche Drehung zur stärkeren Seite bei hemi-parestischen Patienten kann der Bolus zusätzlich über die nicht betroffene Seite gelenkt werden.

Kopfdrehung

Quelle: Logoman, 1989

Bei der Kopfdrehung ist das Ziel, den Glottisschluss zu verbessern. Im Rahmen einer fiberendoskopischen Schluckuntersuchung muss überprüft werden, ob eine Drehung zur betroffenen oder stärkeren Seite den gewünschten Effekt erzielt!

Indikation

Bei einseitigen pharyngealen Paresen oder einseitigen laryngealen Paresen kann mit Hilfe der Kopfdrehung der Glottisschluss unterstützt werden.

Effekt

Durch Drehung des Kopfes zur betroffenen Seite wird die paretische Stimmlippe verkürzt, bei einer Drehung zur nicht betroffenen und damit stärkeren Seite wird die stärkere Stimmlippe gedehnt.


Schluckmuster

Mit kompensatorischen Schluckmustern lernt der Patient, Probleme im Schluckablauf positiv zu beeinflussen.

Mendelsohn-Manöver

Quelle: Jacob et al., 1987

Das Mendelsohn-Manöver gehört zu den kompensatorischen Verfahren, lässt sich aber ebenfalls als restituierenden Therapieinhalt einsetzen.

Durchführung

Mit Hilfe der Vorstellung den Zungenrücken beim Schlucken an den Gaumen zu drücken, soll der Kehlkopf für zwei bis drei Sekunden oben gehalten werden. Danach folgt die Entspannung und ggf. ein Nachschlucken.

Sollte der Patient nicht in der Lage sein, die Zunge kräftig an den Gaumen zu drücken und diese Bewegung zu halten, kann auch von außen der Kehlkopf an der Stelle fixiert werden.

Indikation

Bei eine Öffnungsstörung des Oberen Ösophagus Sphinkters und bei einer unzureichenden Larynxelevation ist das Mendelsohn-Manöver indiziert.

Effekt

Durch die bewusste Verlängerung des Schluckaktes in der pharyngealen Phase (Öffnung des Oberen Ösophagus Sphinkters) können Residuen vermindert werden. Außerdem wird die Pharynxkontraktion unterstützt.

Supraglottisches Schlucken

Quelle: Logemann, 1998; Hirst et al., 1998

Durchführung

Während des Schluckens wird die Luft bewusst angehalten.

Direkt nach dem ersten Schluck folgt ohne Zwischenatmung ein Räuspern oder Husten und ein weiteres Schluck. Erst dann wird wieder geatmet.

Indikation

Bei verzögertem Auslösen des Schluckreflexes und bei einem inkompletten Glottisschluss kann mit Hilfe des supraglottischen Schluckens die Sicherheit des Ablauf erhöht werden.

Gerade wenn in der bildgebenden Schluckuntersuchung deutliche Penetration zu beobachten ist, liegt im supraglottischen Schlucken ein effektives kompensatorisches Muster.

Effekt

Während des Luftanhaltens bleiben die Stimmlippen geschlossen. Mögliche Retentionen auf den Stimmlippen oder Bolusreste im Aditus Laryngis – als Folge von Penetration – werden am Eindringen in die Luftröhre gehindert. Anschließend werden sie durch das Husten bzw. Räuspern entfernt und anschließend abgeschluckt.

Eine Kontrolle der Effektivität wird mit Hilfe der Bildgebung durchgeführt. Das gilt auch für die Variante super supraglottisches Schlucken.

Variante

Beim Super supraglottisches Schlucken wird zusätzlich zum Luftanhalten ein Pressen über die Atem- und Bauchmuskulatur durchgeführt.

Der Glottisschluss wird verbessert und dadurch die Atemwege besser geschützt. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn bei der Diagnostik ein inkompletter Glottisschluss beobachtet werden konnte und einfaches Luftanhalten nicht zu einem Schluss der Stimmlippen führt.